Harald Schaub - Zeitkritische Bilder

Die für die Nachkriegszeit monumentalen Tafelbilder Schaubs bilden den Kern seines Werkes. Die Sujets dieser Öl-, Tempera- und Acrylgemälde widmen sich meist zeit- und gesellschaftskritischen Themen. Das hebt ihn von einem großen Teil seiner zeitgenössischen Künstlerkollegen ab. Schaub verwendet für die bis zu 2 x 3 Meter großen Gemälde Holz oder Hartfaserplatten als Malgrund, von denen er gelegentlich zwei zusammenfügt. Dazu gehören z.B. Die Werke „Der Abgrund“ (1945-46), „Die Hammerschmiede“ (1951/52) oder „Der Stausee“ (1952).

Schaub komponiert diese Arbeiten sorgfältig und bereitet sie teilweise über Jahre durch Studien vor. In Arbeitstagebüchern macht er Notizen über technische Vorgehensweisen, Kompositionsideen, Farbanalysen usw.

Er formt seine Figuren mit großen, kraftvollen Linien und setzt seine starken und leuchtenden Farben großflächig nebeneinander. Im Wuppertaler Generalanzeiger heißt es 1952 anlässlich einer umfangreichen Werkschau Schaubs in der Wuppertaler Galerie „Brücke“:

„Seine Gemälde verwirklichen die gewaltigen Spannungen der Zeit in Flächen, Linien, Farben, die Nerven beanspruchen. […] Er nimmt dem Menschenantlitz die verkrampfende Maske ab und öffnet die „Landschaft der Seele“. Er entsteigt den Abgründen und formt auch aus den Landschaften des segelbefahrenen Meeres und des Hochschwarzwaldes das Gesicht des Jahrhunderts. Aber es drängt zur Vereinfachung, Klarheit und Reinheit, die dennoch metaphysischem Erleben nichts schulden […] Ueberdeutlicher Härte stählerner Formen ist die lodernde Ekstase starker Farben beigestellt.“

Der Schriftsteller Heinz Risse (1898 -1989), viele Jahre Freund und Förderer Schaubs, sagt bei der Ausstellungseröffnung in Wuppertal 1952: „Dieser Maler ist ein Umstrittener und ein Zweifelnder [Er] schafft wie ein Besessener, immer von Bildern geplagt und gejagt, von Phantasien gepeinigt und aufgeschreckt. Er gönnt […] dem Betrachter keinen Seelenfrieden oder eine gemütvolle Bildlektüre. Er will Bekenntnisse fordern und Mahnmale errichten. Weil ihm die Wirkung auf ein breites Publikum wichtig ist, steuert er dem Wandgemälde zu. Die Staffelei ist für ihn ein Notbehelf.“

Der Abgrund • 1945-46 • Öl auf Holz • 230 x 164 cm.

Der Abgrund

Das Ölgemälde „Der Abgrund“ entstand in den Jahren 1945 bis 46. Noch als Kriegsgefangener der britischen Arme im Munsterlager in der Lüneburger Heide entwickelt Schaub die Idee zu dieser Komposition. Bei einem Gang durch das Städtchen Munster erschüttert ihn der Strom an Kriegsversehrten, der an ihm vorüberzieht. Unzählige Soldaten waren einem verbrecherischen Krieg zum Opfer gefallen, unzählige an Körper und Seele für immer zerstört. Niemand will in Zeiten des gerade gewonnenen Friedens an die Schrecken des Krieges erinnert werden. In Harald Schaub reift noch im Munsterlager die Absicht, den versehrten einstigen Kameraden ein Denkmal zu setzen. Das Gemälde „Der Abgrund“ bereitet er durch zahlreiche Studien in Aquarell oder Kreide akribisch vor und begleitet die Entstehung mit einem Arbeitstagebuch.

Studienblatt "Einbeiniger" • 1946 • Federzeichnung • 61 x 56 cm.

Studienblatt „Verzweifelnder“ • 1945 •  Aquarell auf Papier •  57 x 57 cm.

Studienblatt „Einarmiger“ • 1946 • Aquarell auf Papier • 90 x 70 cm.

Kriegsversehrte • 1945 • Kreideskizze auf Schießscheibenpapier • 58,5 x 63,5 cm.

Kompositionsskizzen zu „Der Abgrund“ • 1946 • Aquarell, Tinte, Graphit auf Papierbogen montiert • 70 x 90 cm.

Zeitgeige • 1946 / 49 • Öl auf Tafel • 245 x 201 cm.

Die Zeitgeige

Die „Zeitgeige“, 1946 begonnen und 1949 abgeschlossen, ist in Öl auf Holz gemalt. Die Entstehung dieses Werkes begleitet Schaub mit einem Arbeitstagebuch. In Zeichnungen und Aquarellen konzipiert entwickelt er vorab die einzelnen Figuren und Szenen. Die „Zeitgeige“ thematisiert in expressiver und temperamentvoller Farbgebung und dynamischer Linienführung die Verführung der Menschen und die apokalyptischen Auswirkungen des Krieges. Der langjährige Feuilletonchef der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, Rudolf Lange, schreibt 1950: Die Zeitgeige ist eine „Komposition, die die grausame Menschenverachtung einer übermächtig gewordenen Staatsmaschinerie widerspiegelt“ (Rudolf Lange, Der Maler Harald Schaub. Eine Ausstellung in Hannover, November 1950).

Porträt des Geigers • 1947 • Aquarell • 61 x 42 cm.

Cellist • Öl auf Holz • 69 x 49 cm.

Die Betende • 1947 • Aquarell • 60 x 40 cm.

Verzweiflung • 1947 • Aquarell • 70 x 45 cm.

Tanz auf dem Vulkan • 1946 • Aquarell • 63 x 45 cm.

Nachdenkliche Frau • 1947 • Aquarell • 52 x 36cm.

Exitus in Tabula • 1950 • Tempera auf Tafel • 165 x 200 cm.

„Exitus in tabula“ (Tod auf dem Operationstisch) hat Schaub dieses Gemälde 1950 betitelt. Es zeigt sehr eindringlich, wie Ärzten am Operationstisch der Patient unter den Händen weggestorben ist. Es gibt ihn bereits nicht mehr. Das Geschehen lässt den Chirurgen in tiefer Resignation zurück, während sein Gegenüber noch gar nicht begriffen zu haben scheint, was überhaupt passiert ist. Die Allgewalt des Todes ist im Bildhintergrund moritatenhaft als höhnisch grinsender Totenschädel anwesend. Wolfgang Schlüter schreibt 1950 in der Norddeutschen Zeitung, die Szene vom „Thematischen her beklemmend, angesichts der bildlichen Gestaltung empfindet man jedoch eine gewisse Befreiung: so, als realisierte jemand unsere Träume, daß wir sie im Wachen kontrollieren könnten.“

Die Bauleute • 1957 • Tempera auf Tafel • 160 x 200 cm.

Das Temperagemälde „Die Bauleute“ (auch: Der Vertrag) von 1951 thematisiert den Wiederaufbau einer kriegszerstörten Stadt. Es spiegelt die Zeit des Neubeginns, des Aufbruchs und der Neuorientierung.

Die Szene spielt vor einem Fenster, das den Blick auf eine Straße freigibt, deren eine Straßenseite von Häuserruinen gesäumt ist. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist der Wiederaufbau bereits in vollem Gange. Hier entsteht in moderner Bauweise offenbar Wohnraum für die unzähligen Flüchtlinge und Familien, die durch die Bombardierung der Stadt obdachlos geworden sind. Um eine solche Familie könnte es sich bei der Figurengruppe am rechten Bildvordergrund handelt. Ein Mann aus dieser Gruppe weist mit energischem Gestus mit dem Finger auf ein auf dem Tisch liegendes Blatt. Links des Tisches befinden sich zwei Personen. Eine davon ein Mann von unterdrückter Statur mit runde Brille, der mit ausgestrecktem Arm auf die im Bau befindlichen Wohnhäuser verweist. Neben diesem – vermutlich Architekten oder Stadtplaner (er hat große Ähnlichkeit mit dem damaligen Stadtbaurat von Hannover, Rudolf Hillebrecht) – steht eine Frau, die das Gespräch zu protokollieren scheint.

Hammerschmiede • 1951 / 52 • Tempera auf Tafel • 208 x 290 cm.

Die Eisen- und Stahlindustrie veranstaltet 1952 in Düsseldorf die große Kunstausstellung „Eisen und Stahl“. Harald Schaub stellt dort das 1951/52 gefertigte Temperagemälde „Die Hammerschmiede“. Dafür besuchte er zu Studienzwecken mehrfach das Stahlwerk Salzgitter.

Das Werk zeigt auf einer Fläche von 290 x 209 cm Menschen in einem Stahlwerk und ihre Arbeitsgeräte: konzentriert arbeitende Stahlarbeiter an einem Schmiedehammer. Die Menschen an den riesigen stählernen Maschinen sind fest in das Bildganze eingespannt, so dass sie nicht mehr Individuen erscheinen, sondern als „versachlichte, genormte Teile eines riesigen Körpers, eines großen Vorgangs, der Arbeit heißt“, so eine hannoversche Zeitung.

Dach der Welt • 1950 • Tempera auf Tafel • 245 x 201 cm.

Das Temperagemälde „Dach der Welt“ (245 x 202 cm) malt Schaub 1950 in nur wenigen Tagen. Die Überlegungen dazu bewegen den Künstler aber über einen langen Zeitraum. Für Rudolf Lange, den Feuilletonchef der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung ist das „Dach der Welt“ ein „Gleichnis: Die sich oben auf dem flachen Dach eines himmelhohen Gebäudes am Abgrund einer tiefen Straßenschlucht zusammendrängen, die gleichgültig um sich blicken, verzweifeln, beten oder sich einen Funken Hoffnung im Herzen bewahrt haben, sind Menschen unserer wirren Zeit, Menschen, an denen wir tagtäglich auf der Straße achtlos vorübergehen.“ (Lange, 1950)

Der Journalist Wolfgang Tschechne kommentiert das Werk 1950 in der Hannoversche Presse: „Sechs Menschen und einen Hund vereinigt das Bild zu einer Gruppe, deren Ballung allein so wuchtig ist, daß sich kein Beschauer dem Werk entziehen kann. Eine umständliche Ausdeutung, die so oft von Kunstwerken unserer Tage verlangt wird und die viele Menschen nicht zu vollziehen bereit sind, ist hier nicht nötig. […] Jeder, der vor dem Bild steht, spürt fast körperlich die Fahrstuhlgeschwindigkeit, in die er durch den Bildaufbau und die abrutschende Perspektive hineingezwungen wird.“

Marionetten • 1952 • Tempera auf Tafel • 245 x 200 cm.

„Marionetten“ – Schaub bezeichnet es gelegentlich auch mit „Es ist so schön Soldat zu sein“ – ist eine klare Absage an Krieg, Gewalt und Brutalität. Das Bild aus dem Jahr 1952 zeigt Soldaten, die tot oder sterbend im Schützengraben oder im Stacheldrahtzaun hängen oder liegen. Die Toten sind keinem kriegführenden Land zuzuordnen – Opfer und Verlust gibt es auf beiden Seiten. Die leuchtenden und kräftigen Temperafarben und die idyllische Landschaft, in der die Szenerie spielt, können dem Geschehen nicht den Schrecken nehmen, sie unterstreichen die Grausamkeit der Gewalt und die Sinnlosigkeit des Krieges. Der Untertitel bezieht sich auf das Kriegspropagandalied „Es ist so schön Soldat zu sein, Rosemarie“ aus dem Jahr 1930, in dem pathetisch der Soldat mit seiner Braut vermählt wird, um dann für das Vaterland in den Tod zu gehen.

Im Ausstellungskatalog einer großen Werkschau Schaubs in Salzgitter 1970 ist neben dem Gemälde folgendes Gedicht von Schaub abgedruckt:

BLA – BLA – BLA

BLA – BLA – BLA

wir sind bald wieder da.

HOCH die FAHNE –

hoch die TASSEN –

GROSSER GOTT –

ich kann’s nicht fassen 

UNSERE EHRE IST DIE TREUE

schlagt und tretet alles NEUE

packt uns auch der SEELENDALLES –

DEUTSCHLAND – DEUTSCHLAND über ALLES –

alle anderen sind IDIOTEN –

UNSERE TOTEN / EURE TOTEN

können nicht mehr wählen /

auch nichts mehr erzählen.

dafür prahlen umso mehr

die HELDEN von der HEIMATWEHR

und auch die von der ETAPPE /

mit RIESEN-großer KLAPPE.

BLA – BLA – BLA – wir sind schon wieder DA.

Zauberlehrling • 1955 / 57 • Tempera auf Tafel • 169 x 206 cm.

Reigen • 1950 • Tempera auf Tafel • 245 x 201 cm.

Sommer am Stausee • 1952 • Tempera auf Tafel • 167 x 202 cm.

Steilküste bei Biarritz • 1953 • Tempera auf Tafel • 159 x 194 cm.

Stufen • 1951 • Tempera auf Tafel • 290 x 200 cm.

Orchester solo • 1953 / 54 • Tempera auf Tafel • 100 x 120 cm.

Schrottkomposition • 1949 • Aquarell • 74,5 x 106 cm.

Urknall • 1968 • Mischtechnik • 100 x 68 cm.

Evolution (Diptychon) • 1967 / 68 • Acryl auf Tafel • 170 x 294 cm.

Rund 30 gegenstandsfreie Gemälde sind in der Altrewa Sammlung vertreten. Sie sind von einer intensiv leuchtenden Farbgebung (Tempera, Acryl). Hier spielt das Figurative keine Rolle mehr, es dominieren geometrisch-abstrakte und/oder expressiv-gestische Linien sowie symbolhafte Formen (z.B. Mandelform = Auge, Vagina). Bei den farbigen Arbeiten verlässt Schaub das klassische Tafelbild und experimentiert mit den Grundformen der Bildträger. So verwendet er beispielsweise weiß gestrichene Trägerplatten, auf die er die Gemälde, durch eine dünne, ebenfalls weiß gestrichene Leiste separat gerahmt, asymmetrisch oder schräg montiert. Auch das Trapez taucht als Grundform auf. Die Wucht der Farben und die Linienführung (oft schwarz oder weiß) der stereometrischen Formen, die Räumlichkeit und Tiefenwirkungen suggeriert, verleihen diesen Bildwerken eine ungeheure malerische Plastizität, die durch die Platzierung auf einer Trägerplatte ins Dreidimensionale überführt wird. Einige Bilder sind auf zwei Bildträger verteilt, um als Teil des Interieurs einen Zweck zu erfüllen. So wies Schaub dem großformatigen Werk „Evolution“ von 1968-68 die Funktion als Raumteiler zu, ein weiteres Diptychon diente als Schranktüren.

Panorama • 1970 • Acryl auf Tafel • 219 x 202 cm.

Labyrinth • 1971 • Acryl auf Tafel • 108 x 222 cm.

NICHT TÖTEN • 1971 • Acryl auf Hartfasertafel auf Trägerplatte montiert • 132 x 197 cm.

Eines der letzten großformatigen Gemälde Schaubs ist das Schriftbild „Du sollst nicht töten“ aus dem Jahr 1971. Der Maler setzt dabei das fünfte Gebot der Bibel als farbiges Schriftbild um. Die leuchtenden Farben erinnern an ein modernes Graffito. In seiner letzten Schaffensperiode als bildender Künstler kehrt Schaub an seine typografischen Anfänge zurück. Im Ausstellungskatalog von 1970 finden sich zahlreiche solcher Schriftbilder, allerdings in einfacherer Umsetzung als Zeichnungen.